Die absolute Konsequenz
Wie erklärt man ein Bild, dessen Inhalt durch
das Entstehen erst Bewusstsein erlangt und an Form gewinnt?
Wie erklärt man den Prozess eines Arbeitsschrittes, der Erfahrungen des bisherigen Lebens in sich birgt und nun in diesem Wirken Ausdruck findet?
Lassen sich über viele Jahre gesammelte Erfahrungen in Worte fassen?
Wittgenstein sagt: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Worte verlieren ihre Deutungshoheit.
Ich ziehe Linien. Eine nach der anderen. Rhythmisch. Konsequent. Die Vorstellung von Farbe und der optische Rahmen sind gedanklich festgelegt. Es folgt das rhythmische Zeichnen der Linien, die wie ein Brief ohne Worte ihren Fortgang finden. Die wie eine Melodie ohne Noten zu Papier gebracht werden, um dem Bild im Kopf zur Verwirklichung zu verhelfen. Linie um Linie reiht sich aneinander. Übereinander. Sekunde um Sekunde. Zeit wird zeitlos. Der Weg ist das Ziel. Was zählt, ist der Moment. Die Linie. Im Hier und Jetzt. Auf dem Papier. Sämtliche Energie konzentriert sich auf einen meditativen Prozess, der neue ungeahnte Erfahrungen mit sich trägt.
Unaussprechliche Erfahrungen. Erfahrungen, die visuell wiedergegeben werden. Erfahrungen, die keine Worte zulassen. Linie um Linie fügt sich zu einem Netz. Webt einen Teppich des Augenblicks. Ein metaphysisches Textil, dessen Existenz einem alles abverlangt. Das nach Vollendung präsent ist, als blicke man in sein Spiegelbild, welches jedem zugänglich ist.
Das Bild ist nicht mehr innen. Ich habe meine Erfahrung nach außen gestülpt und zeige sie wie einen Querschnitt meines Lebens. Meine Biografie liegt in jedem Augenblick, in jeder Linie.
Das Bild ist in der Welt. Selbständig. Frei.
Ich habe keinen Einfluss mehr.
Es existiert.
Und ich bin ich.
Wie entsteht ein Raum, ein Lebensraum, ein Ort?
Wie sieht der Ursprung eines Anfangs aus?
Eines Punktes, an dem sich die Entstehung eines Raumes vollzieht?
Entstehung im Nichts. Entstehung im Chaos. Entstehung in Gedanken. Entstehung im Sein.
Ein Bild im Kopf wirft Fragen auf.
Lässt sich dieses Bild mit Reduktion auf geringste Mittel darstellen?
Die absolute Konsequenz beginnt.
Mit lediglich einer Linie.
Deren Wiederholung Schritt für Schritt, Linie um Linie, ein Bild ergibt. Einen Raum entstehen lässt. Nur eine Linie. Farbe. Richtungswechsel.
Durch einen konsequenten, beharrlichen Prozess
zum Erscheinen gebracht.
Begleitet von Erfahrung, Ruhe und der Existenz
des Augenblicks.
Ein Horizont gibt sich visuell zu erkennen.
Das Bild im Kopf hat den Weg in eine andere
Realität gefunden.
Schweigen. Jedes Wort ist zu viel.
Weil das Bild ein Bild ist.
Weil das Bild kein Wort ist.
Weil das Bild ist.
In absoluter Konsequenz.
"Man hat daher immer gedacht, dass das seiner Definition nach einzige Zentrum in einer Struktur genau dasjenige ist, das der Strukturalität sich entzieht, weil es sie beherrscht.
Daher lässt sich vom klassischen Gedanken der Struktur paradoxerweise sagen, dass das Zentrum sowohl innerhalb der Struktur, als auch außerhalb der Struktur liegt. Es liegt im Zentrum der Totalität, und dennoch hat die Totalität ihr Zentrum anderswo, weil es ihr nicht angehört." - Jacques Derrida
Blattgold, Bleistift, Acryl auf Papier
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